
Im Frühjahr 2021 habe ich meine dienstvorgesetzte Dezernentin mit einer Entscheidung geschockt: Ich kündige zum Schuljahresende meinen Beamtenstatus.
Diese Entscheidung war das Ergebnis eines langen Prozesses, bei dem es im Kern um die Frage ging: Ist mein Job als Schulleiterin für mich noch Berufung? So wie ich es mir für mein berufliches Leben vorgestellt hatte?
Im weiteren Verlauf des Gesprächs fragte mich meine Vorgesetzte weiter, ob ich der Schule den Rücken kehren würde. Daraufhin antwortete ich sinngemäß: „Ich kehre nicht DER Schule (meiner Schule) den Rücken, sondern dem staatlichen Schulsystem.“ Schweigen.
Das fasste es für mich am besten zusammen. Denn wenn es nur um meine Schule als Mikrokosmos geht, wäre die Sache unter Umständen anders gelaufen.
Ich war etliche Jahre Konrektorin an dieser Schule, bevor ich Schulleiterin im Rahmen einer Altersnachfolge wurde. Mir ging es nie um das Amt an sich, um meinen Lebenslauf aufzubessern, oder mir etwas zu beweisen. Ich bin in das Lehramt gestartet, um im Bildungswesen etwas zu verändern. Als Lehrerin empfand ich meine Möglichkeiten schnell als erschöpft, darum habe ich das Amt der Schulleitung angestrebt.
Als Konrektorin merkte ich schon, dass ich meine Erwartungen an die Veränderungsbereitschaft des Systems und den Rahmen der Möglichkeiten abspecken musste. Da schob ich es darauf, dass ich ja „nur“ die Stellvertreterin war.
Eines Tages war es soweit: Nach den Sommerferien übernahm ich die Schule als Schulleiterin. Leider zunächst alleine, meine Konrektorennachfolge konnte nicht gleich besetzt werden. Dieser Anfang war schon ein erster kleiner Rückschlag, denn die Besetzung der Nachfolge zog sich, es gab zunächst schlicht keine Bewerber auf die Stelle. Aus einer Übergangslösung wurde ein Jahr, durch das ich mich irgendwie hindurch rettete, immer mit der Aussicht, nach den nächsten Sommerferien wird es besser. Denn endlich gab es Bewerbungen. Am Ende der Sommerferien dann der Schock: Das Verfahren musste noch einmal von vorne beginnen.
Ich versuchte weiter durchzuhalten. Die Schule mitten in Veränderungsprozessen, die noch nicht abgeschlossen waren, neue Veränderungen standen an. Es kam schneller neue Arbeit hinzu, als ich alte abarbeiten konnte. Immer wieder war ich die „Feuerwehr“ in Krisensituationen. Nach fast einem halben Jahr kam dann der Knock-out. Meine Ärztin schickte mich gegen meinen anfänglich leichten Protest in eine längere Auszeit. (Wofür ich ihr rückblickend sehr dankbar bin, von selbst wäre ich da nicht drauf gekommen und auch die Mahnungen der Familie schlug ich zunächst in den Wind.)
Während der Auszeit, nachdem ich zunächst wieder gelernt hatte, irgendetwas mit mir anzufangen, kam das Nachdenken. Ich zog Bilanz und kam zu der Erkenntnis, dass ich so nicht auf dem Weg war, den ich als berufliche Erfüllung betrachten würde.
Neben den Aspekten der Überforderung, war ich in der ganzen Zeit immer wieder im Schulamt angeeckt. Ich traf Entscheidungen so: Was gut für die Kinder ist, ist auch gut für die Schule. Schnell musste ich merken, dass das aber eher nicht „gewünscht“ war, wie ich es mehr oder weniger subtil im Unterton heraushörte.
Neue Projekte und Unterrichtsangebote starten? – Ja, ne, so einfach ist das nicht.
Ich trat im Fernsehen auf. – Klar dürfen sie das, aber wir wollen es eigentlich nicht.
Ich sprach Missstände in der Inklusion an. – Ja, das ist schlimm… aber reden sie das nächste Mal nicht mit XY darüber.
Ich wurde deutlicher und forderte Unterstützung ein. – Ja, ihre Lage ist schwierig, aber vielen anderen geht es ähnlich.
Mir war schon klar, dass der Apparat „staatliches Schulsystem“ eher Öltanker als Rennyacht ist. Trotzdem glaubte ich zunächst, Beharrlichkeit zahlt sich am Ende aus. Nun kam ich zu dem Schluss, dass ich mich in punkto Veränderungen rückwärts zu bewegen begann und das mir dieser Umstand persönlich zusetzte. Mir setzte es auch zu, dass sich die Situation für die Schüler:innen mit besonderen Bedürfnissen an meiner Schule immer mehr verschlechterte und damit auch die Situation für die Kolleg:innen. Meine Möglichkeiten dies zu ändern, sah ich von Tag zu Tag schwinden.
Auf der anderen Seite kam bei mir immer mehr an, dass man meine absolute Loyalität erwartete und meine Art zu denken nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen schien.
Somit drohte ich zerrieben zu werden, da ich nicht bereit war, Loyalität dem Dienstherren gegenüber über das Wohl meiner Schule zu stellen.
Nach der Auszeit kehrte ich an die Schule zurück. Das war keine einfache Zeit, aber ich wollte die Dinge ordnen und vor diesem Hintergrund eine Entscheidung treffen.
Schnell war klar, die Talfahrt ging weiter, obwohl ich mittlerweile die Unterstützung einer lieben Kollegin hatte, die den Posten der Konrektorin übernahm. Es kamen immer neue Auflagen und Hürden. Ich bekam auch zu spüren, dass man als jemand, die eine Bruchlandung in Form eines Ausfalls aufgrund von Burnout erlebt hat, eher weiter unten in der Hackordnung steht. Immer wieder wurde meine Dienstfähigkeit erwähnt, vordergründig weil man sich „sorgte“. Dabei arbeitete ich verlässlich, ohne auszufallen, zog aber wesentlich kompromissloser Grenzen, wenn es um meine Gesundheit ging. Ich war nicht mehr bereit, bis zum Letzten zu gehen.
Schlussendlich lief es darauf hinaus, dass ich die Entscheidung traf, von der ich schon länger vorher geahnt hatte, dass ich sie treffen würde. Ich teilte sie allen Beteiligten mit, was durchaus nicht einfach war. Der Arbeitsalltag wurde eher schwieriger und holpriger, da die Dinge nun feststanden und daran nichts mehr zu ändern war. Ich bekam den Eindruck, man nahm meine Entscheidung persönlich.
Ich zog das Ganze trotzdem noch die Monate bis Schuljahresende durch, aber nur aus meinem Pflichtgefühl der Schule gegenüber. Dieser Abschied ist mir dann auch nicht so leichtgefallen. Der Abschied vom Beamtenstatus und dem Behördenapparat dafür sehr.
Nun stehen mir plötzlich alle Möglichkeiten offen, was auf eine verrückte Art spannend und auch etwas beängstigend zugleich ist. Aber darüber im nächsten Beitrag mehr.