Lehrer & Eltern: Verhärtete Fronten oder? Eine Mutmachgeschichte

Ziege

Manchmal scheint es schwer zu glauben, dass kleine Dinge schon den Unterschied machen. Wenn ich zum Beispiel sage, dass es einen großen Unterschied macht, mit welcher Haltung man seinen Beruf ausübt, so mag das auf den ersten Blick komisch klingen. Der ein oder andere Leser ist da vielleicht zu Recht skeptisch.

Aber es ist so. Gerade Elternarbeit hängt ganz stark von der inneren Haltung des Lehrers ab. Ich habe dies auch nicht so glauben wollen und war eine Weile der Meinung, dass manche Eltern sich in der Schule einfach komisch aufführen. Meine erste Reaktion war dann oft: „Was läuft denn bei denen falsch?“ 
Oder auch: „Wie anmaßend, dass sie mir sagen wollen, wie ich meinen Unterricht machen soll. Ich habe schließlich nicht Lehramt studiert, um mir dann von Eltern sagen zu lassen, wie ich meinen Beruf ausübe. Ich sage doch dem Chirurgen nicht, wie er operieren soll.“
Na, wer denkt so manches Mal vielleicht auch so, wenn Eltern den Forderungskatalog aufmachen und jede Unterrichtsentscheidung hinterfragen oder daran etwas auszusetzen haben?

Meine Geschichte wie ich begann umzudenken, kam einige Zeit, nachdem ich an meiner jetzigen Schule als Lehrerin und Konrektorin angefangen hatte.
Ich war Klassenlehrerin einer Klasse im Flexiblen Schulanfang, das heißt ich unterrichtete Kinder im ersten und zweiten Schuljahr gemeinsam. Es war der Normalfall, dass die Kinder mit dem Übergang in die 3. Klasse eine neue Lehrerin bekamen. Ich entschloss mich damals, mit den Kindern zusammen den Übergang zu gestalten und mit ihnen in die 3. Klasse zu wechseln. Für meinen Geschmack war das eine ganz charmante Idee und als ich den Kindern dieses verkündete, war die Stimmung sehr gut. Alle schienen sich zu freuen.

Der Dämpfer kam nach dem Wochenende, als plötzlich eine Mutter, nennen wir sie Frau Heinz, einen Gesprächstermin mit der Schulleitung einforderte. Gleich die große Runde, mit Elternbeirat noch einigen anderen Eltern, nur ich sollte fernbleiben. Tenor der Gesprächs: Entweder wechselt mein Kind die Klasse oder jemand anderes wird Klassenlehrer!
Ich fiel aus allen Wolken. Wie konnte sie nur? Sicher, ich hatte immer ellenlange Briefe, weil sie immer alles ganz genau wissen wollte und jede meiner Entscheidungen in Frage stellte. Mal waren es zu viel oder zu wenig Hausaufgaben, die Kinder lernen zu wenig und überhaupt war bei ihrem großen Kind alles ganz anders.
(Man muss dazu sagen, dass das größere Geschwisterkind eher klassischen Frontalunterricht und wenig offene Unterrichtssituationen erlebt hatte.)

Die Schulleitung bestand auf meiner Anwesenheit beim Gespräch und ich hätte auch gut darauf verzichten können. Das Gespräch verlief auch wie erwartet unangenehm und war im Wesentlichen eine Flut von Anschuldigungen. Schulleitung und Elternbeirat bemühten sich um Konsens und Fazit war, das Kind bleibt genau wie ich in der Klasse, aber ich versuche einige Wünsche der Mutter, vor allem nach Information, zu berücksichtigen.

So ging ich in die Sommerferien. Dabei waren sehr gemischte Gefühle. Von: „Na, das kann ja heiter werden!“ bis: „Ich überlebe das Schuljahr nicht!“. Die Gemütslage schwankte täglich. Kurz vor den Sommerferien plauderte ich mit dem Kind von Frau Heinz bei einem Ausflug. Das Kind wusste natürlich von dem Aufstand den die Mutter machte. Das Kind war darüber eher peinlich berührt. Aber wir kamen ins Gespräch und dabei fiel ein Satz, der mich aufhorchen ließ: „Weißt du, meine Mama hat wegen allem Angst, weil sie es ganz schwer an der Schule hatte.“
Während der Ferien, als ich mal wieder mein Leid über diese unmöglichen Eltern klagte, wurde mir plötzlich die Frage gestellt: „Was denkst du, warum macht sie das?“
Mein erster Reflex war, diese Frage von mir zu weisen mit: „Naja, sie hat halt irgendein Problem, was weiß ich.“ Aber dann fiel mir das Gespräch von dem Ausflug wieder ein und es gleichzeitig die Schuppen von den Augen. Ich versuchte das Gedankenexperiment und schlüpfte einmal in ihre Rolle.

Frau Heinz liebt ihre Kinder und hat sich bisher immer aufopfernd um sie gekümmert. Sie hat klare Vorstellungen, wie ihre Kinder aufwachsen sollen und plötzlich redet da eine ganz andere Person mit. Diese Person (also ich) macht auch noch alles anders, als Frau Heinz das kennt und da Frau Heinz gerne die Kontrolle über das hat, was mit ihren Kindern geschieht, reagiert sie total verunsichert, weil sie plötzlich gar nichts mehr unter Kontrolle hat. Und was machen manchmal Menschen, die befüchten die Kontrolle zu verlieren? – Sie gehen zum Angriff über. Dazu kommen noch eigene negative Erfahrungen mit Lehrern, wodurch grundsätzlich erst einmal Misstrauen herrscht.

Daraufhin beschloss ich einfach mal etwas zu probieren. Ich änderte meine Elterninformationspolitik. Entgegen meiner Überzeugung gab ich meine E-Mailadresse raus. Meine Klasse bekam jede Woche einen Wochenplan, auf dem es auch ein Feld Elternpost mit einigen kurzen Infos zum aktuellen Geschehen gab. Diese Maßnahmen gab es für alle Eltern, mir war es wichtig, jetzt nicht nur für Frau Heinz eine Extrawurst zu braten. Ich richtete in einem vertretbaren Intervall eine offene Sprechstunde ein, in die man ohne Anmeldung kommen konnte. Und am Elternabend legte ich den Eltern ganz klar offen, welche Ziele ich mit ihren Kindern habe. Dass ich sie zu selbständigen und kompetenten Lernenden machen möchte, die Verantwortung für sich selbst übernehmen können. Ich machte deutlich, dass es viele Methoden gibt, die zum Ziel führen und ich die wähle, die zu mir und den Kindern passen.

Ich war gespannt, was passiert. Besonders darauf, ob ich jetzt mit E-Mails bombardiert werde und bei der Sprechstunde die Elternschlange bis auf den Hof reicht…
Und was ist passiert? Von Frau Heinz habe ich in den Jahren vielleicht zehn E-Mails bekommen, die meisten mit Infos, da sie auch meine Elternbeirätin wurde. Zur Sprechstunde kommt bis heute immer genau ein einziger Elternteil. Dann führe ich zehn bis fünfzehn Minuten ein kurzes, entspanntes Gespräch und alles ist gut. Die Eltern sind ganz offen sehr dankbar, dass ich diese Möglichkeit zur Verfügung stelle und wissen das zu schätzen.

Was wurde aus Frau Heinz? In einem Halbjahresgespräch entschuldigte sie sich für ihr Verhalten. Sie sagte mir, sie schätze meinen Unterricht sehr und würde erst jetzt erkennen, welch wichtige Dinge die Kinder bei mir lernen.
Ich kann sagen, das ging runter wie Öl und ließ mich ungefähr eine Woche einen halben Meter über den Boden schweben. Diese Geste rechne ich ihr bis heute hoch an und verkehrte unser Verhältnis ins absolute Gegenteil. Sie begann mich zu unterstützen, wenn ich neue Sachen ausprobieren wollte und wir führten nur noch angenehme Gespräche in fast freundschaftlicher Atmosphäre. Ich kann nur sagen, seitdem fühle ich mich mit Elterngesprächen wohl und bekomme jetzt auch immer mal wieder auf diesem Weg Anerkennung. Auf jeden Fall fällt ein ganz großer Stressfaktor weg.

Fazit: Statt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, lohnt es sich ungemein, einmal radikal eine andere Perspektive einzunehmen. Ich kann jeden Lehrer nur ermutigen, dies einmal auszuprobieren. Teilt Eure Erfahrungen mit mir als Kommentar zu diesem Beitrag.

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