Stärken als Schulfach?

Statt ihnen immer nur zu sagen, was sie alles nicht können: Stärken von Schülerinnen und Schülern im Unterrichtsalltag ins Zentrum rücken – Geht das?

Dieser Videobeitrag aus einem Vortrag beim Hessischen Elternforum in Frankfurt am Main gibt viele Beispiele aus der Praxis und beantwortet die Frage, wie sich der Blick auf Schüler verändern muss und zwar von Seiten aller beteiligten Personen wie Lehrer und Eltern.

Eltern aus der Hölle

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Unter diesem Slogan hat jeder Lehrer direkt ein Bild vor Augen. Eltern die gefühlt jede Woche im Türrahmen stehen und nur mal kurz eine Frage haben. Oder solche, die die Gesetztexte scheinbar auswendig zu kennen scheinen, deren Kinder „nie“ angefangen haben und die im Bildungsdschungel an jeder Ecke eine elementare Gefahr für ihre liebsten Sprösslinge vermuten. Die hartnäckigsten von ihnen scheinen die Nummer des staatlichen Schulamts direkt im Handy eingespeichert zu haben, direkt unter der Nummer ihres Anwalts.Dank ihnen scheinen Elternabende ewig zu dauern und der Wunsch zum Elterngespräch wirkt vorab wie eine Drohung.

Wie weniger stressig wäre unser Lehreralltag, wenn Eltern in der Schule einfach kein Mitspracherecht hätten, wenn Eltern einfach draußen bleiben müssten… Hach, wäre das schön! Oder doch nicht?
Was wäre wenn es auch einen anderen Weg gäbe, in dem es ein Auskommen zwischen Lehrern und Eltern gibt? Was wäre wenn Gespräche auf Augenhöhe stattfänden und von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung geprägt wären? Wenn die Erwartung eines Gesprächs keine negativen Gefühle mehr auslöst?

Die gute Nachricht ist: das geht! Auch mit schwierigen Eltern muss die Situation nicht eskalieren, es gibt eine große Chance, eine gute gemeinsame Basis zu entwickeln, so dass die Elternarbeit tatsächlich sogar eine Unterstützung darstellen kann.
Die „schlechte“ Nachricht: Die Grundlagenarbeit dafür müssen wir Lehrer tun. Wir können nicht erwarten, dass sich das automatisch aus der Elternschaft ergibt. Wir müssen den Nährboden legen, aber die Belohnung kann dann eine sehr entspannte Zeit mit den Eltern der uns anvertrauten Kinder sein. Was im Übrigen auch in jedem Fall im Sinne der Kinder ist, die von einem solch entspannten Verhältnis auch nur profitieren können.

Wie das geht? Das zeigt ein Videoblog der in Kürze an dieser Stelle in mehreren Teilen praktische Tipps und Hilfestellungen bietet. Wer also mehr wissen möchte: Dranbleiben!

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Auf Augenhöhe – Das Lehrer-Schüler-Eltern-Gespräch

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Kinder sollten in der Schule nicht zum Objekt werden und sich dadurch als hilflos in ihrem eigenen Lernprozess erleben.
Erfreulicherweise scheint dies in immer mehr Schulen anzukommen und Kinder bekommen zusehends ein Mitspracherecht, wenn es um schulische Dinge geht.
Was im Unterricht immer mehr Routine bekommt, ist in anderen Teilen des Schullebens oft noch eine Ausnahme. Besonders drastisch zeigt sich dies bei Elterngesprächen, insbesondere in der Grundschule. Da man per se davon ausgeht, dass Kinder in dieser Altersstufe noch zu jung seien, um zu verstehen, was in solchen Gesprächen vor sich geht. 
Aus Sicht des Kindes muss dann das Geschehen zwischen Eltern und Lehrern wie eine Black Box erscheinen. Man weiß nicht, was „drinnen“ passiert und kann auch nicht vorhersagen, was „hinten“ rauskommt. Jedes Kind muss sich also darauf verlassen, dass ihm oder ihr erzählt wird, was besprochen wurde. Wer unter diesen Bedingungen erwartet, dass Kinder sich für ihren eigenen Lernprozess verantwortlich fühlen: Fehlanzeige!

Dabei gibt es auch hier ein probates und bereits erprobtes Mittel, welches unter dem sperrigen Titel „Lehrer – Eltern –Schüler – Gespräch“ läuft. 
Und bevor hier kritische Gegenstimmen auftauchen: Ja, man kann dies auch schon in der Grundschule durchführen. 
Tatsächlich sitzen bei einem solchen Gespräch Lehrer, Eltern und Kind an einem Tisch. Für die Kinder oft eine sehr ungewohnte Situation, die ihnen gerne die Sprache verschlägt. Darum ist es zwingend erforderlich, dass ein solches Gespräch vorbereitet ist. Beachtet man dies und befolgt dann noch ein paar einfache Schritte bei der Durchführung, erlebt man direkt und unmittelbar, wie Kinder in und an einem solchen Gespräch wachsen können.
Wenn es gut läuft, verlassen Eltern und Kind beschwingt oder wenigstens gut gelaunt den Gesprächsraum, aber mindestens um eine Erfahrung reicher. Geht nur, wenn man die heiklen Themen außen vor lässt? Mitnichten! Gerade für „schwierige“ Schüler ist ein solches Gespräch oft eine sehr wohltuende und wichtige Erfahrung. 
Die Gestaltung der Gelingens Bedingungen liegen dabei beim Lehrer und dieser sollte sich dies auch hier unbedingt nicht aus der Hand nehmen lassen.

Die wichtigsten Elemente eines solchen Gesprächs im Überblick:

Die Vorbereitung
Sie ist das A und O und dabei mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen. Steht ein Gespräch an, dann bekommen Eltern und das Kind von mir jeweils einen Fragebogen mit der Bitte, ihn zum Gespräch ausgefüllt mitzubringen. Auch hier ist weniger mehr: Mein Fragebogen hat genau nur drei Fragen:

  • Dies sind meine Stärken, diese Dinge fallen mir leicht und machen mir Spaß.
  • Hier brauche ich noch Unterstützung / Hilfe oder möchte ich mich verbessern.
  • Ich wünsche mir folgende Unterstützung von meinem Lehrer / meinen Eltern.

Das Gespräch
Das Gespräch selbst folgt ebenfalls der Struktur des Fragebogens. Oberste Gesprächsregel: Zunächst redet das Kind und darf dabei alles erzählen, was ihm oder ihr zu der ersten Frage einfällt. Ich unterstütze dies noch durch Bilder, die zeigen, was wir in der Schule alles machen, da den Kindern oft nicht alles in der Aufregung einfällt. 
Wenn das Kind diesen Teil beendet hat, ergänze ich die Aussagen des Kindes aus meiner Sicht. Am Schluss sind die Eltern dran und können ebenfalls etwas dazu sagen.
Die strikte Einhaltung dieser Struktur ist besonders bezogen auf den Anfang besonders wichtig, denn er erfüllt mehrere Funktionen: Wenn das Kind erst einmal ausführlich erzählen darf, welche positiven Dinge es in Schule für ihn oder sie gibt, bricht dies das Eis und auch schüchterne Kinder finden eher einen Einstieg in das Gespräch. Positive Dinge kommen leider oft zu kurz, weil das Gespräch über Probleme oft viel zeitlichen Raum einnimmt. Positive Dinge werden gerne mit „naja, das läuft ja!“ abgetan. Da ist man sich in der Regel einig und braucht nicht lange darüber diskutieren. Stärken sind die Ressource, aus der Kinder die Kraft schöpfen können, auch schwierige Dinge angehen zu können. Darum brauchen diese eine besondere Würdigung. Besonders wirkt dies natürlich, wenn diese Würdigung auch vor den Eltern stattfindet. Dem Kind wird deutlich, dass es die Hauptperson des Gesprächs ist. Schließlich soll mit dem Kind und nicht in Anwesenheit des Kindes über das Kind gesprochen werden. Dies ist ein höchst wichtiger Unterschied, der den Erfolg des Gesprächs ausmacht.

Jetzt kommt die 2. Runde. Die Kinder sind wieder dran und erzählen aus ihrer Sicht, welche Bereiche sie verbessern möchten. Erst wenn das Kind fertig ist, ergänze ich wieder und zum Schluss die Eltern. 
Ich habe bis jetzt bei jedem Gespräch, und dies meine ich wirklich ohne Ausnahme, feststellen dürfen, dass Kinder sich sehr realistisch einschätzen und selbst den „Finger in die Wunde“ legen. Dies kann man nutzen, um direkt das nächste Lob anzuschließen: „Ich finde es richtig toll, wie gut du dich selbst einschätzen kannst, denn dies habe ich auch sagen wollen.“ 
So wird das Reden über schwierigere Dinge auch nicht unangenehm, denn die „Kritik“ kommt nicht von oben und daher wertend, sondern orientiert sich am Kind und man kann dann sehr schnell in Richtung Lösung denken.

Der letzte Punkt, welche Unterstützung wird gewünscht, beginnt ebenfalls mit der Sicht des Kindes und es wird gemeinsam überlegt, welche Angebote die Schule und / oder die Eltern machen können, um dem gerecht zu werden. Das Kind bekommt das Gefühl, dass es um seine Bedürfnisse geht und damit sind vereinbarte Maßnahmen gleich viel wirkungsvoller.

Das Gespräch war erfolgreich wenn: Die Eltern am Ende aufstehen und sagen, sie können gar nichts mehr ergänzen, weil bereits alles gesagt wurde. Denn dann ist das Gespräch wirklich mit dem Kind geführt worden und die Eltern waren mehr oder weniger Zuschauer. Das Kind am Ende des Gesprächs sagen kann, dass es richtig eingeschätzt wurde und sich in den Schilderungen wiederfinden konnte. Ich frage die Kinder unmittelbar nach dem Gespräch nach ihrem Eindruck. So finde ich heraus, ob noch irgendein wichtiger Punkt nicht angeschnitten wurde.

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Als Lehrer gewinnen Sie aus diesem Gespräch:

  • Oftmals einen tieferen Einblick in ihre Schülerinnen und Schüler als nach mehreren Wochen Unterricht.
  • Ein „Vertrauensguthaben“ auf dem Beziehungskonto zu Ihren Schülern, da Sie gezeigt haben, dass Sie Transparenz und Offenheit schaffen und den Schüler oder die Schülerin als Person sehen, die es verdient wertgeschätzt zu werden. Dieses Guthaben macht sich in stressigen Situationen unglaublich bezahlt.
  • Sie können mit Stolz von sich behaupten, Ihren Schülerinnen und Schülern ein Stück Persönlichkeitsentwicklung gegeben zu haben.
  • Sie werden Anerkennung erhalten, von Schülern und Eltern.

Haben Sie Mut und probieren Sie es aus. Ich freue mich auch über Erfahrungsberichte als Kommentar unter diesem Beitrag.

Der erste Schultag

Noch ist es ruhig in Hessens Klassenräumen. Wie geht es wohl Hessens Schülern und Lehrern in der letzten Woche? Wie viele sitzen wohl zu Hause mit Vorfreude, Zweifeln oder sogar Angst? Es steht fast zu befürchten, dass Vorfreude bei der Mehrzahl nicht überwiegt.

Wie wäre es aber, wenn Kinder es kaum erwarten könnten, endlich wieder in die Schule gehen zu dürfen? Wenn sie ungeduldig am Schulzaun stehen würden und darauf hofften, dass es bald wieder los geht?

Wie müsste ein richtig guter erster Schultag für Schüler UND Lehrer aussehen, damit sich alle darauf freuen?
Teilt eure Ideen mit uns, vielleicht können wir ja etwas davon wahr machen. 😉

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Was sind eigentlich Stärken?

Habe ich ohne großen Hintergedanken meine Schüler im ersten und zweiten Schuljahr gefragt. Nach kurzer Pause kam dann doch durchaus souverän die Antwort: „Das ist etwas, was man gut kann.“

Dadurch angespornt habe ich gleich weiter gefragt: „Und wie erkennt man das?“ Die erste Spontanreaktion war Achselzucken. Mir hat das keine Ruhe gelassen und darum wollte ich das dann auch genauer wissen. Ich bohrte daher weiter, wie meine Zuhörerschaft nun ihre eigenen Stärken herausfinden könnte.
Der erste ernstgemeinte Vorschlag war dann: „Ich bin gut darin, wo ich wenig Fehler mache.“ Sicherlich nicht verkehrt, aber die bloße Abwesenheit von Fehlern als Definition von einer Stärke hinterließ ein Gefühl der Unzufriedenheit. Weiterhin schlugen meine Schüler vor, um das heraus zu finden könne man doch auch andere fragen.

Wir haben das dann gleich in die Tat umgesetzt. „Frage deine Freunde, was du gut kannst.“ Mit dieser Aufgabenstellung haben sich die Kinder also selbst interviewt. Heraus kamen Rückmeldungen etwa in dieser Art:

„Du bist gut in Mathe und Seil springen.“
„Du kannst gut lesen und schreiben.“
„Du kannst gut rechnen, lesen und du malst schön.“

Ich möchte diese Ergebnisse nicht klein reden, aber diese Definitionen als vollständiges Stärkenprofil meiner Schüler zu betrachten erschien mir indes doch zu dünn.
Erschreckenderweise konnten sie eine wesentlich detailliertere Auslunft über die Dinge geben, die sie nicht können.

Die Frage war im Moment nicht zu klären, ließ mir aber keine Ruhe. Da muss es doch mehr geben, um über die Stärken meiner Schüler etwas herauszufinden. Also machte ich mich auf die Suche. Sobald ich Ergebnisse habe, werden sie hier zu lesen sein.